Gisela Hafer: Textile Poesie – Stoffgeschichten

 

Als Gisela Hafer gefragt wurde, sagte sie ja. Ja zu einem Buch über ihre stimmungsvollen Quilts und textilen Collagen, denen Gedichte und Geschichten gegenübergestellt sind. Die Gedankenverbindung von ihrem Werk „Goldtaler“ zum Märchen der Gebrüder Grimm mit dem Titel „Sterntaler“ liegt nahe, aber fast genauso gut hätte sich hier auch die „Bankenlandschaft“ angeboten, die die in Frankfurt lebende Textilgestalterin vor Augen hat oder wie Goethe schon sagt: „ Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles“ – auch zu diesem Zitat schuf sie eine beeindruckende Arbeit, die gut für eine spontane Assoziation wäre.

 

Gisela Hafer findet ihre Inspirationen überall – ob in der Natur, in der Kunst, in der Realität – und ihre Interpretationen sind vielschichtig. Und so ist auch ihre Arbeitsweise. „Auch wenn es nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen sein mag: Grundlage meiner Arbeiten ist immer ein Raster, die strenge Konstruktion“, schreibt sie. Weißer Stoff wird zuerst bedruckt und bemalt oder sie überträgt Bilder und/oder Texte mit den verschiedensten Transfertechniken. Anders zusammengesetzt, geschichtet, bestickt, übermalt – es entsteht neuer Kontext. Die Nadel als Zeichenstift, die Kombination von Wort und Bild liefern dem Betrachter Hinweise zur gedanklichen Auseinandersetzung, erzählen Stoffgeschichten.

 

Des Öfteren, wie z.B. bei den drei Quilts „Die Leichtigkeit des Seins“, „Spurensuche“ und „Rot und hitzig“, arbeitet Gisela Hafer seriell, spielt mit dem optischen Reiz des Nebeneinanders ähnlicher Bildelemente, die sie da und dort wieder aufbricht. Auch die „Portraitvariationen“ gehören hierher. Nicht nur erhält ursprünglich Sprödes und Flächiges durch die Umwandlung in eine textile Collage eine warme, weiche Anmutung, sondern jedes scheinbar gleiche Element ist bei genauer Betrachtung doch nicht identisch, vielmehr ganz individuell.

 

Eine entscheidende Rolle kommt der Stickerei zu. Damit verbindet sie nicht nur zweckmäßig die Stofflagen miteinander, sondern sie betont mit Stickerei das Wichtige, arbeitet die Bildaussage heraus. Dabei entstehen spannende reliefartige Oberflächen, die den Stoffbildern einen zusätzlichen Reiz verleihen. Und, wenn die Stickerei mit der Hand ausgeführt wird, kommt noch eine zeitliche Komponente hinzu: sie sorgt für eine Entschleunigung des Alltags.

 

Über 30 ausgewählte Arbeiten von Gisela Hafer aus den Jahren 1990 bis 2015 stehen in schönen Gesamtaufnahmen, aber auch in vielen interessanten Detailfotos Texten von den Gebrüdern Grimm über Goethe und Tucholsky bis hin zu Rilke gegenüber. Alles in allem kann das 132-seitige Galeriebuch aus dem MaroVerlag als Katalog des Werks der durch zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland bekannten Künstlerin und Dozentin gesehen werden.

 

Manchmal ist es die literarische Vorlage, die umgesetzt wird, ein anderes Mal steht nicht der Text am Anfang, sondern das Bild, das sich wie von selbst mit einer Stimmung oder einem Gedicht verknüpft: textile Poesie, die alle Freunde der Textilkunst und von Stoffgeschichten bezaubern und zum immer wieder Durchblättern anregen wird.

 

Gisela Hafer: Textile Poesie – Stoffgeschichten, MaroVerlag, Augsburg 2015, ISBN: 978-3-87512-762-1, 22 EUR

 

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